Lust auf eine Leseprobe?
Hier finden Sie immer mal wieder ein anderes meiner Märchen.
Dabei wollte er das gar nicht. Dreamer hatte einfach nur Zweifel, die ihn lähmten – Zweifel daran, ob er tatsächlich einen Traum besaß. Er hatte gehört, dass ein Traum in der Lage war, die gesamte Welt zu ändern, und das wäre in seinem Fall auch nötig, denn das Bild, das ihm ständig vor Augen schwebte, war einfach zu schön, um wahr zu sein. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, einen solchen Traum erhalten zu haben, denn er war doch ein unbedeutender Mann. Warum also, fragte er sich ständig, sollte das Schicksal ausgerechnet ihn mit einer solch überaus großen und sicherlich auch höchst seltenen Ehre bedacht haben, wenn er es gar nicht wert war?
Das war der Grund, warum er jeden nach seiner Meinung fragte – um sicherzugehen, dass er nicht nur einem verrückten Gedanken nachhing.
Die einen meinten, er solle sich sein Vorhaben aus dem Kopf schlagen, weil es nicht in die Welt passte. Die anderen hingegen antworteten, er könne seine Pläne möglicherweise durchaus verwirklichen, allerdings nur dann, wenn es sich bei dem, was er vor Augen hätte, um einen wahren Traum handelte.
Beide Antworten halfen Dreamer nicht weiter, sondern machten ihn nur noch
unsicherer. Daher zweifelte er immer mehr und redete weiter über seinen Traum, ohne irgendetwas dafür zu tun.
So wäre es sicherlich bis zum Ende seines Lebens weiter gegangen, wenn Dreamer nicht eines Tages gänzlich unerwartet Hilfe bekommen hätte.
Nun handelte es sich dabei aber nicht um einen guten Freund, der ihm beigestanden und seine Zweifel beseitigt hätte, sondern im Gegenteil um eine schreckliche Frau. Diese Frau trat ihm eines Tages ganz unvermittelt in den Weg und sprach ihn frech an. Und auch, wenn sie nur einen einzigen Satz sagte, war dieser doch ausreichend, um die Dinge zu verändern.
Sie rief so laut, dass es ein Jeder auf der Straße hören konnte: „Dreamer, Dreamer, deinen Traum schaffst du wohl nie mehr!“ Dabei schüttelte sie den Kopf, als wäre er ein kleiner Junge, der gescholten werden musste. Das machte Dreamer maßlos wütend. Er ärgerte sich nicht nur darüber, dass sich diese Frau erdreistete, über ihn ein Urteil zu fällen, ohne sich darum zu kümmern, gegen welche großen Zweifel er anzukämpfen hatte. Er ärgerte sich auch über die Behauptung, er würde seinen Traum nicht „schaffen“. Das hörte sich an, als wäre er faul und bequem, was nicht stimmte. In Wahrheit wollte er seinen Traum mehr als alles andere in der Welt, und er war bereit, für ihn auch alles zu tun, wirklich alles, was in seiner Macht stand. Und weil er sich so ärgerte, traf er den Entschluss, der Frau zu beweisen, dass sie sich gründlich getäuscht hatte.
Genauso kam es auch. Dreamer fragte von da ab niemanden mehr um Rat, ja, er redete nicht einmal mehr über seinen Traum, sondern nahm all seine Kraft, um seinen Traum in die Tat umzusetzen. Und wie von Zauberhand bekam er all die Dinge, die er dafür benötigte: Es schien, als wäre er immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort; als lernte er stets die richtigen Menschen kennen, diejenigen, die ihm weiterhalfen; und was am erstaunlichsten war, es änderten sich auch manche Umstände, wodurch sich der Traum überhaupt erst erfüllen konnte.
Nun aber dauerte es gar nicht lange, bis Dreamers Traum verwirklicht war. Dreamer konnte es kaum glauben und war daher völlig überwältigt. Nicht nur wegen des Traums, den er nun lebte, sondern auch, weil plötzlich die ganze Welt verändert schien, und ihn der Verdacht nicht losließ, dass all das nur durch sowie für seinen Traum geschehen war.
Da dachte er wieder an den Satz der schrecklichen Frau, und er summte ihn vor sich hin: „Dreamer, Dreamer, deinen Traum schaffst du wohl nie mehr!“, doch er schmunzelte dabei. Und dann setzte er noch ein paar Wörtchen dazu, „... nie mehr besser als jetzt!“
Und er erkannte, dass die schreckliche Frau ihm auf ihre Art zu seinem Erfolg verholfen hatte. Damit verschwand seine Wut auf sie, und er war fortan dankbar dafür, dass das Schicksal sie zu ihm geschickt hatte.
Anmerkungen - Der Zweifel
Menschen mit großen Träumen, auch Visionen genannt, hat es wohl schon immer gegeben, und die Liste von politischen und gesellschaftlichen Vordenkern oder Entdeckern, die ihre großen Träume in die Welt gebracht haben, ist ellenlang. Dementsprechend müsste man eigentlich davon ausgehen können, dass wir angesichts der vielen Beispiele erfolgreicher Traum-Erfüllung bestens mit ihnen vertraut sein sollten. Und so müsste jeder Traum-Besitzer voller Stolz und mutig die Ärmel hochkrempeln, während er von seinem Umfeld unterstützt wird, weil alle wissen, dass den großen Träumen entsprechende Veränderungen zum Wohl aller folgen.
Leider verhält es sich jedoch anders. Wir sind heute völlig auf das Machbare konzentriert und umso eher geneigt, den Träumenden als Spinner mit einer verrückten Idee zu erklären, je weiter sich dessen Traum außerhalb des aktuell Machbaren oder Vorstellbaren befindet. Eigentlich ist dies merkwürdig, da wir uns aufgrund der vielen bekannten Fälle erfolgreicher Traum-Erfüllung darüber im Klaren sein sollten, dass das Nichtmachbare von heute zur Realität von morgen werden kann. Aber vermutlich genügt die Kenntnis von solchen Erfolgs-Beispielen, egal wie vielen, nicht aus, um uns auf große Träume vorzubereiten.
Bei Märchen ist dies anders. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, das Leben und seine Gesetze zu erklären, was sie durch ihre Bildersprache mit Leichtigkeit selbst bei den schwierigsten Themen vermögen. Dass sich nun gleich mehrere von meinen Märchen mit dem Thema der großen Träume beschäftigen, dieses Märchen hier sogar ganz konkret das Wesen von großen Träumen beleuchtet, ist sicherlich kein Zufall. Denn gerade jetzt, zum Beginn des Neuen Zeitalters, ist es wohl unerlässlich geworden, sich mit großen Träumen vertraut zu machen. Dies ist auch nur logisch. Denn wenn das Neue Zeitalter eine Fülle von Änderungen mit sich bringen wird und muss, wie es spirituelle Quellen verkünden, wird es bald viele große Träume und entsprechend viele Traum-Besitzer geben, die mit der Erfüllung ihrer Träume die nötigen Änderungen in der Realität verankern.
Was mir bei diesem Märchen besonders auffällt, ist, dass es im Ganzen eine Art Anleitung für Traum-Besitzer darstellt. Zum Beispiel offenbart es eindeutige Unterscheidungs-Kriterien zwischen großen Träumen und verrückten Gedanken, die allen Träumenden (auch den vermeintlichen) eine wertvolle Hilfe bieten können. Das eine Kriterium ist: Verrückte Gedanken kann man sich aus dem Kopf schlagen, Träume hingegen bleiben bestehen. Dies kann man bei Dreamer deutlich erkennen. Obwohl er eine gefühlte Ewigkeit lang nichts für die Erfüllung seines Traumes unternommen hat, ist der Traum nicht verblasst oder gar verschwunden, sondern so stark und frisch wie am Tag des Erhalts, sonst hätte Dreamer ihn nach all der Zeit des Zweifelns nicht mehr erfüllen können. Das zweite Kriterium besagt, dass Träume bei ihrer Entstehung nicht in die Welt passen. Dies können sie nicht, weil die Welt diejenige ist, die sich dem Traum anpasst. Ein verrückter Gedanke dagegen orientiert sich, wie ausgefallen er auch sein mag, immer noch an dem (aktuell) Machbaren. Deswegen sind verrückte Gedanken allerdings nicht schlecht oder von vornherein abzulehnen – es handelt sich bei ihnen nur nicht um große Träume.
Wer sich nun fragt, ob er möglicherweise im Besitz eines solchen großen Traumes ist, sollte sich darauf einstellen, dass er niemanden finden wird, der ihm dies bestätigt, da man mit dem Verstand immer nur das Machbare beurteilen kann. Dem (potentiellen) Traum-Besitzer bleibt also nichts anderes übrig, als sich auf seine innere Stimme zu verlassen, was nebenbei einer der Gründe sein soll, warum es diese Träume überhaupt gibt.
Nun ist man, wie es das Märchen zeigt, doch nicht völlig auf sich selbst gestellt bei seinem Traum. Sollte man sich in irgendeiner Weise festgefahren haben, bekommt man Hilfe. Es heißt zwar, diese Hilfe würde immer erfolgen, aber ob das wirklich zutrifft, weiß ich nicht. Warum diese Hilfe, wenn sie kommt, nicht unbedingt angenehm sein muss, sondern auch darin bestehen kann, uns schrecklich wütend zu machen, hängt wohl damit zusammen, dass Wut einen Energieschub liefert, durch den wir selbst die größten Hürden überspringen können – was ich persönlich zwar durchaus nachvollziehen kann, aber keineswegs gut finde. Viel schöner fände ich es, wenn man sich darauf verlassen könnte, rein positive und freundliche Hilfe zu erhalten.
Aber so arbeitet das Schicksal wohl nicht, vielmehr erhält jeder genau die Hilfe, die er benötigt, um sein Ziel erreichen zu können. Bei Dreamer erfolgt die Hilfe bekanntlich durch die Begegnung mit der schrecklichen Frau, die aus dem Nichts auftaucht, sich ihm in den Weg stellt und ihm ungefragt den Spruch entgegenschleudert: „Dreamer, Dreamer, deinen Traum schaffst du wohl nie mehr!“, bevor sie sogleich wieder im Nichts verschwindet. Nach einer Hilfe sieht das nicht aus – und doch ist es im höchsten Maße wirksam, immerhin bringt es ihn dazu, über die Mauer der Zweifel zu springen, wodurch sich sein Traum nicht nur erfüllen lässt, sondern es sogar wie geschmiert funktioniert. Darüber hinaus liefert der fürchterliche Satz, wenn auch etwas versteckt, genau die Bestätigung dafür, dass es sich bei Dreamers Traum tatsächlich um einen wahren Traum handelt, und gibt Dreamer damit das, wonach er so lange gesucht hat. Das ist schon verblüffend.
Übrigens glaube ich nicht, dass Dreamers Zweifel, der ja lediglich in dem Gefühl besteht, unbedeutend zu sein, einen Sonderfall darstellt. Vielmehr vermute ich hier einen Hinweis darauf, dass die großen Träume verstärkt gerade bei Menschen wie Dreamer auftreten werden, die sich für unwert halten, dafür auserwählt zu werden.
Sollten Sie also selbst zu denen gehören, die sich für unbedeutend halten, wundern Sie sich nicht, wenn Sie in den nächsten Jahren plötzlich ein Bild vor Augen haben, das zu schön ist, um wahr zu sein, und einfach nicht verschwinden will. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um einen echten großen Traum handelt und Sie damit die Chance haben, für die gesamte Welt eine Änderung zu bewirken, ist sehr groß.
Dies ist ein Auszug aus:
Märchen der Weisheit
Der Zukunft entgegen
Band 2
von Diana Weisheit
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